Die Rheinpfalz vom 27.7.

Sommerinterview: Ein lockeres Gespräch in entspannter Atmosphäre. Dazu haben wir uns wieder Interviewpartner für die Ferienzeit gesucht. Wie Hans Eber-Huber, Leiter der Neustadter Tagesbegegnungsstätte Lichtblick.

Wer Veranstaltungen des Lichtblicks besucht, bekommt oft das Gefühl, auf eine große Familie zu stoßen. Wie haben Sie das geschafft? Das hat sich so entwickelt. Zu Beginn im Jahr 1996 war der Lichtblick nur eine Suppenküche, jetzt sind wir eine allumfassende Sozialeinrichtung für sozial benachteiligte Menschen. Die meisten unserer Helfer sind selbst ehemalige Wohnungslose, die mittlerweile in die Gesellschaft integriert sind – vielleicht nicht im üblichen Sinne, aber sie leisten einen wichtigen Beitrag. Das beflügelt ihr Selbstwertgefühl und führt dazu, dass sie weniger in die Spielhalle gehen, Alkohol oder Drogen konsumieren. Sehr viele Menschen sind in Jugendhilfeeinrichtungen oder Pflegefamilien aufgewachsen. Hier im Lichtblick finden sie etwas, das sie dort nie erlebt haben. Es ist tatsächlich wie eine Familie. Das führt aber auch zu gewissen Verbindlichkeiten.

Die da wären? Es gelten strenge Regeln. Das war besonders schwierig, als ich 1999 angefangen habe. Daran wäre ich fast gescheitert.

Wieso das? Die Polizei war fast jeden Tag da. Damals war es noch erlaubt, Alkohol zu trinken und auf dem Gelände zu übernachten, es kam regelmäßig zu Problemen.

Wie haben Sie das in den Griff bekommen? Mein Vorteil war, dass ich gewisse Erfahrungen aus der Suchtkrankenhilfe mitgebracht habe. Zuvor hatte ich viele Jahre lang als externer Drogenberater in der Vollzugsanstalt Frankenthal gearbeitet. Als ich im Lichtblick angefangen habe, habe ich einige Leute aus dem Vollzug wieder getroffen. Da war dann schon ein Vertrauensverhältnis da.

In solchen Situationen braucht es doch bestimmt ein strenges Auftreten, oder? Ich bin niemand, der auf den Tisch haut, sondern mehr ein Team-Mensch. Aber das hatte damals auch nicht geholfen. Nach drei Wochen habe ich die Einrichtung geschlossen. Dann habe ich mir überlegt, wie es weitergehen kann. Die erste Voraussetzung: Alkoholverbot auf dem gesamten Gelände. Sie können sich vorstellen, was das für Kämpfe nach sich zog. Auch bei körperlicher oder psychischer Gewalt gab es Hausverbote. Essen, Wäsche waschen oder duschen kosteten fortan etwas. Das brachte dann auch eine gewisse Wertschätzung für die Arbeit des Teams mit sich.

Wie kam es dazu, dass der Lichtblick zu einer Einrichtung wurde, hinter der so viele Menschen stehen? Das war nicht immer so. Die Stadt hatte große Vorbehalte. Da wurde etwa behauptet, es gebe keine Obdachlosen in Neustadt und dass mit einer solchen Einrichtung unzählige Wohnungslose zu uns strömen würden. Wir mussten auch um finanzielle Hilfe kämpfen. Das Protestantische Dekanat wurde zum Träger und ich zum ersten hauptamtlichen Leiter. Wir wurden zum Segen für die Stadt, statt Fluch zu sein – und so zum Sprachrohr für die sozial Benachteiligten. Die Zusammenarbeit mit den Behörden ist mittlerweile sehr eng. Vieles wurde bereits erreicht, jetzt hoffe ich darauf, dass es künftig eine soziale Betreuung in den beiden Notunterkünften für Wohnungslose geben wird.

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie einen sozialen Beruf erlernen wollen? Der Weg war praktisch schon vorgegeben. In meiner Jugend war ich Gruppenleiter in einer kirchlichen Jugendgruppe. Schon damals haben mir Menschen zugetraut, Verantwortung zu übernehmen. Später habe ich Zivildienst in der Altenhilfe in Pirmasens gemacht.

Wie ist es denn für Sie, in der Stadt zu wohnen, in der Sie arbeiten, und wo Sie praktisch jeder kennt? Ich werde immer wieder zu Hause angerufen von Leuten, die zum Beispiel spenden oder helfen wollen. Oder in meinem Hauseingang stehen gespendete Kleider, obwohl ich immer mit dem Fahrrad unterwegs bin … Klar, als eingesessener Haardter wissen die Leute, wo ich wohne. Den gewünschten Abstand gewähren mir eher die Menschen, die in den Lichtblick kommen (lacht). Wobei ich auch und vor allem dort darauf bedacht bin, Berufliches und Privates zu trennen.

Trotz allen Abstands: Gab es ein Schicksal, das Ihnen besonders nahegegangen ist? Schon. Was mich immer sehr belastet hat, waren Todesfälle. Wenn Lichtblick-Besucher mehrere Tage lang nicht kommen, die sonst täglich da waren. Oft sind sie einfach nur krank. Aber ich habe auch schon erlebt, dass wir sie zu Hause tot vorgefunden haben. Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn nie eine Strategie entwickelt, das so einfach abzuhaken. Auch nicht mit dem Wissen, dass die Lebenserwartung der Menschen aufgrund ihrer entsprechenden Vergangenheit weitaus geringer ist als im Durchschnitt.

Wie sind Sie denn selbst aufgewachsen? Ich war jüngstes Kind von vieren. Wegen des Zweiten Weltkriegs haben meine Eltern spät geheiratet und Kinder bekommen. Sie waren schon älter und mein Vater auch sehr streng, wohingegen wir als die Nachkriegsgeneration ja immer für Freiheiten gekämpft haben. Diese Kämpfe mit meinen Eltern haben aber meine Geschwister für mich ausgefochten (lacht).

Sie waren also ein typisches Nesthäkchen? Das kann man schon so sagen.

Im letzten Arbeitsjahr vor Ihrer Altersteilzeit haben Sie mit einer Pandemie zu kämpfen, die alle überrascht und überrannt hat. Wie geht es Ihnen damit? Das werde ich immer wieder gefragt. Ich muss sagen, dass mich diese Situation auf eine eigene Art und Weise beglückt, weil ich sehe, wie gut der Lichtblick funktioniert. Das liegt an dem tollen Team, das dahinter steht. Über Wochen hinweg haben wir die Tafel ersetzt. Bis 13 Uhr hatten wir hier Mittagessen-Ausgabe, ab 14.30 Uhr Tafel. Die Leute standen im kompletten Hof verteilt, teilweise sogar bis auf den Bürgersteig. Viele haben ja gar keinen Zugang zu Informationen. Die haben sich einfach an unsere Regeln gehalten, das war sehr beeindruckend.

Der Lichtblick war zuletzt nicht frei von Sorgen…Richtig, uns sind wegen Corona Einnahmen aus Kleiderkammer, Fahrradladen, Flohmarkt, Hausratladen und Möbellager und allen Veranstaltungen in diesem Jahr weggefallen. Dafür hatten wir viele Ausgaben, zum Beispiel wegen Umbauten und Anschaffungen, wie zum Beispiel Pavillons und Tischgarnituren für draußen. Wir hätten nie damit gerechnet, dass wir trotz der ausgefallenen Veranstaltungen Spenden bekommen würden – und zwar so viele wie noch nie für diese Jahreszeit und auf so kreativen Wegen. Mittlerweile konnten wir die finanziellen Löcher gut stopfen. Und wir sind froh, dass wir noch immer drei Mal pro Woche von einer Gaststätte oder einer Cateringfirma bekocht werden.

Das heißt, die Sorgen sind jetzt Geschichte? Nein, denn abgerechnet wird erst im Dezember. Und ich bin mir nicht sicher, ob wir in der Weihnachtszeit so viele Spenden von Firmen bekommen wie sonst, denn die müssen sich ja vielleicht erst mal selbst helfen. In normalen Jahren nehmen wir im Winter fast 60 Prozent unserer Jahresspenden ein.

Der Lichtblick hatte seit Corona-Ausbruch keinen einzigen Tag geschlossen. Die Lösung, das Essen über Fenster auszugeben und im Hof Bänke und Pavillons aufzustellen, war ein Glücksfall. Wie läuft das im Winter ab? Wir geben am Tag 50 bis 60 Essen aus, auch im Winter werden unsere Räume dafür zu eng sein wegen der Corona-Regeln. Zum Glück hat das Presbyterium der Stiftskirchengemeinde kürzlich beschlossen, dass wir das Casimirianum nutzen können – zumindest in der Frühstücks- und Mittagessenszeit. Unsere Verwaltung bleibt in der Amalienstraße. Es beruhigt doch sehr, schon jetzt einen Plan für die kalten Monate zu haben.

Nach 21 Jahren verlassen Sie den Lichtblick im Dezember. Was denken Sie, werden Sie gut loslassen können? Es ist auf jeden Fall gut, dass ich meinen Nachfolger Robin Rothe vier Monate lang einarbeiten kann. Anders als es bei mir damals war, will ich ihm Raum lassen, seine eigene Strukturen zu schaffen. Ich bin natürlich im Notfall da. Darüber hinaus ist aktuell so viel zu tun, dass die Gedanken an danach noch gar nicht so präsent sind. Ich habe Familie, Sohn, Tochter und ein Enkel. Ich fahre gerne Rad, bin gern wandern oder im Kulturverein Wespennest aktiv. Wer weiß, ob ich mit einem gewissen Abstand nicht noch einmal sozial tätig sein werde. Aber darauf will ich mich jetzt noch nicht festlegen.

Beim Sommerinterview dürfen die Interviewten dem Journalisten eine Frage stellen. Wie lautet Ihre an mich? Ich höre oft bei Diskussionen: „Bei uns in Deutschland gibt es keine Armut, bei uns muss niemand hungern.“ Wie ist Ihre Meinung dazu?

Mit solch pauschalen Aussagen tue ich mich als Journalistin schwer. Ich bin der Meinung, dass es viel zu viele Menschen auch in Deutschland gibt, denen zu wenig Geld zur Verfügung steht, um davon gut leben zu können. Wenn zum Beispiel Alleinerziehende am Monatsende kein Geld mehr für Nahrungsmittel haben und deshalb auf ihr Essen verzichten, damit die Kinder satt werden, zählt das für mich definitiv als Armut. Interview: Jennifer Back